08.01.2016 | Das Gold
Je geringer die Prozentzahl an freien Fettsäuren , desto frischer und gesünder waren die Oliven beim Zeitpunkt der Verarbeitung. Laut EU-Verordnung darf dieser Wert bei Olivenölen der höchsten Güteklasse nativ extra 0,8 % nicht übersteigen.
Mein ehemaliger (leider mittlerweile verstorbener) Leiter des Olivenölverkosterkurses der Industrie- und Handelskammer in Florenz Dr. Marco Mugelli meinte damals zu mir, dass sehr erfahrene Verkoster bereits bei einem Wert von 0,3 % an freien Fettsäuren erste leichte Fehlaromen im Olivenöl feststellen können. Bei einem Wert von 0,8 % sind diese mehr als deutlich sensorisch bemerkbar.
Dies macht einen eklatanten Widerspruch in der EU-Verordnung für Olivenöl deutlich: Einerseits dürfen Olivenöle der höchsten Güteklasse nativ extra KEINE Fehlaromen aufweisen. Der Wert an freien Fettsäuren aber ist so hoch gesetzt, dass Fehlaromen damit automatisch einhergehen. Fakt ist, dass gut 70 % (die Dunkelziffer liegt eher bei 90 %) der im Handel erhältlichen Olivenöle Fehlnoten aufweisen und somit eigentlich nicht nativ extra deklariert werden dürften. Der Begriff nativ extra/extra vergine/virgen extra gibt dem Verbraucher leider überhaupt keine Garantie Qualität zu kaufen.
Die Peroxidzahl sagt etwas über die Haltbarkeit des Olivenöls aus. Je geringer die Zahl, desto länger bleibt das Olivenöl frisch und behält seine geschmacklichen Qualitätsmerkmale. Je höher die Zahl, desto fortgeschrittener die Oxidationsprozesse im Olivenöl. Der Gesetzgeber schreibt eine maximale Zahl von 20 vor bei der Güteklasse nativ extra. Olivenöle mit solch hoher Peroxidzahl bekommen allerdings von Experten-Panels bei der Verkostung schlechte Noten. Sie schmecken und riechen nicht mehr frisch. Solche Öle sind bereits müde und „verbraucht“. Im Handel dürfen sie aber immer noch unter der Bezeichnung der höchsten Güteklasse „Extra Vergine“ verkauft werden. Mit dem natürlichen Alterungsprozess des Öls steigt die Peroxidzahl beim Olivenöl bei fachgerechter Lagerung (kühl bei 14 - 18 Grad und dunkel) jährlich um ca. 3 Punkte.
Immer wichtiger bei Spitzenölen wird der Gehalt an Polyphenolen. Diese Stoffe haben große Auswirkung auf die sensorische Qualität des Olivenöls. Außerdem besitzen diese Polyphenole eine hohe antioxidative Wirkung und sind somit sehr gesundheitsförderlich. Je höher der Polyphenolgehalt, desto ernährungsphysiologisch wertvoller ist das Olivenöl. Schöner kulinarischer Nebeneffekt: Öle mit hohem Polyphenolgehalt behalten länger ihr frisches grünes Aroma. Ein sehr hoher Polyphenolgehalt geht – zumindest aktuell – immer mit einer intensiven Schärfe und Bitterkeit des Olivenöls einher. Für nordeuropäische Gaumen erst einmal gewöhnungsbedürftig. Für Olivenöl-Freaks ein Hochgenuss. Spitzenwerte liegen momentan bei 500 – 800 mg/kg. Die Fachzeitschrift „Merum“ spricht von guten Werten ab einer Zahl von 250 mg/kg.
Zulässige Aussagen nach der Health-Claims-Verordnung
Der Polyphenol-Gehalt eines Olivenöls, auch Biophenol genannt, ist besonders für gesundheitsbewusste Menschen von Bedeutung. Die europäische Health-Claims-Verordnung legt fest, welche gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel zulässig sind.
Nur wenn ein Olivenöl mindestens 5 mg Hydroxytyrosol und dessen Derivate (z. B. Oleuropein- Komplex und Tyrosol) je 20 g Olivenöl enthält, darf der Hersteller mit einer positiven Wirkung auf die Gesundheit mit folgender Aussage werben. Olivenöl-Polyphenole tragen dazu bei, die Blutfette vor oxidativem Stress zu schützen.
Worin liegt das Wunder? In den Polyphenolen, also Antioxidantien. Neben der Herzstudie in Paris läuft auch gerade eine an der Universitätsklinik Careggi in Florenz. Erste Ergebnisse von Professor Dr. Maria Luisa Brandi ergaben: Polyphenole im Olivenöl könnten helfen, Darmkrebszellen zu bekämpfen. Außerdem erforscht sie gerade einen östrogenähnlichen Effekt, der Frauen in der Menopause helfen könnte. Keine andere Mühle hat aus der Olive bisher mehr Polyphenole herausgeholt als die von Mugelli. Unter guten Wetterbedingungen – die Natur ist ja eine Variable, die wir beim Einkaufen gern vergessen – finden sich im Öl aus seiner Mühle bis zu 1000 Milligramm der Gesundmacher. In einem herkömmlichen Öl sind es gerade mal knappe 200 Milligramm.
"Das Außergewöhnliche am Olivenöl ist die Synergie", erklärt der Erfinder. Was bedeutet das? Öl ist ein Lipid. Darin sind Moleküle von Polyphenolen enthalten. Die Lipide schützen sie und bringen sie sicher in den Darm, wo sie ihre reparierende Wirkung voll entfalten können. Aber eben nur dann, wenn sie noch intakt sind.
Antioxidantien, das liegt in ihrer Natur, oxidieren sehr schnell, sie verbinden sich also sehr schnell mit Sauerstoff. Die der Olive so wie die jeder anderen Frucht. Und so liegt der Schlüssel zum Lebenselixier in dieser Erkenntnis, die unter Bauern ganz und gar nicht selbstverständlich ist: Man muss die Olive mit Samthandschuhen anfassen! Weil jede noch so kleine Verletzung der Frucht Oxidation in Gang setzt. Die setzt sich dann in der Flasche fort.
Was läuft anders im perfekten Prozess nach Mugelli? Zum Beispiel dies: Oliven werden in kleinen Tranchen geerntet und landen nach spätestens vier Stunden in der Presse. Im Normalfall steht die Ernte 24 Stunden herum, weil man sich so mehrere Fahrten zur Mühle spart. Außerdem werden die Früchte intensiv gereinigt, und zwar mit Zitronensäure, um jegliches Fermentations-Risiko auf der Olivenhaut auszuschalten. Und: sie werden geschnitten und nicht gequetscht. Denn das wäre ein weiteres "Trauma", wie Mugelli es ausdrückt.
Gut und aufwendig
Der weitere Vorgang findet unter Vakuumbedingungen statt. Nach der extrem langsamen Trennung des Öls von der Olivenmasse (je kälter, desto zäher der Vorgang) und der Filterung ist das Öl höchstens 22 Grad warm. Das alles ist gut und vor allem: aufwendig. Mugellis Sohn lebt im November, wenn Erntezeit ist, Tag und Nacht in der Mühle. Kontrolliert Luftgehalt, Druck- und Temperaturwerte. Der Erfolg liegt im Detail.
"Es ist vor allem eine kulturelle Frage", seufzt der alte Mugelli. Schon die Ernte müsste theoretisch per Hand erfolgen. Aber das ist arbeitsintensiv und teuer, und wie soll man dem Verbraucher den Preis verständlich machen? So denkt man an den meisten desillusionierten Olivenhainen dieser Welt. Woher soll der Konsument auch wissen, wie viel harte Arbeit und Hingabe in einer Flasche Öl steckt? Es ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Früher arbeitete Mugelli als Chef einer großen Olivenmühle in der Toskana. Dann ernannte man ihn zum Direktor des Konsortiums für die Verteidigung des toskanischen Olivenöls. Wer sich fragt, was es denn da zu verteidigen gibt: eine ganze Kultur! Wir bekommen nichts davon mit, aber es herrscht Krieg in der Welt der romantischen Olivenhaine. Auf der einen Seite kämpft die Tradition. Und auf der anderen Seite die Industrie. Es ist ein bisschen so wie in "Brust oder Keule" mit Louis de Funès.
Das Problem: vom Olivenöl kann heute niemand mehr leben. "Die Realität ist diese: Wenn mich ein Liter Öl in der Herstellung zehn Euro kostet, dann kann ich ihn doch nicht für weniger weggeben. Muss ich aber." Für den Preisdruck sorgen die Großkonzerne. Lassen wir die ganzen illegalen Panschmethoden einmal weg: Heute werden tonnenweise Olivenöle hergestellt, auf dem die Bezeichnung Extravergine prangt. Sie steht für Kaltpressung. Unter industriellen Bedingungen kann davon keine Rede sein. Und je höher die Temperatur, desto schneller trennt sich das Öl von der Olivenmasse. Doch so gehen die wertvollen Inhaltsstoffe verloren.
Es sei vor allem ein politischer Skandal, sagt der Olivenöl-Guru. " Die Parameter für das Extravergine wurden so ausgeweitet, dass auch Großkonzerne den Begriff verwenden können." Früher hat er mal einen dieser Übeltäter verklagt. Heute ignoriert er seiner Meinung nach unsinnige EU-Verordnungen: "Die Lösung ist die: wir machen extranatives Olivenöl und verordnen uns selbst strenge Auflagen. Die können nur wir einhalten." Er hofft natürlich auf den Konsumenten. "Man muss den Leuten nur sagen, worauf sie achten müssen."
Wenn Olivenöl leicht ranzig schmeckt
Bisher wussten wir schließlich nur: Es muss Extravergine draufstehen, wenn es schmecken und gesund sein soll. Deswegen kann der "Lanz kocht"-Zuschauer auch gar nicht anders, als in Feinschmecker-Manier "Herrlich!" zu rufen, wenn er beim obligatorischen Trattoria-Besuch ein Stück Brot in das Öl tunkt, das der Kellner vorher in dramatischem Bogen auf einen kleinen Teller hat fließen lassen.
Auch wenn es in Wahrheit leicht ranzig schmeckt und nach Fußschweiß (kein Witz: offizielles Fehlaroma bei Olivenöl-Verkostungen) duftet. "Ein qualitativ minderwertiges Öl ist gesundheitsschädlich. Weil es nicht mehr verdaulich ist. Bleibt in der Leber hängen", konstatiert Mugelli lakonisch.
Die beste Lagerungsmethode wäre Edelstahl. Öle, die in durchsichtigen Flaschen verkauft werden? Ein Witz. Auch wenn sie manchmal so edel aussehen wie ein Parfumflakon.
Kurz: die meisten haben keinen blassen Schimmer davon, wie Oliven-Öl wirklich schmecken muss. Sie haben sich an Fehlaromen aller Art gewöhnt und sie deshalb für gut befunden. Mugelli formuliert es drastisch: "Ungefähr 95 Prozent aller Olivenöle erfüllen nicht die offiziellen Anforderungen".
Während wir bei Fertigprodukten aller Art innig über Ampel-Aufdrucke diskutieren, akzeptieren wir, beim Naturprodukt Olivenöl im Dunkeln zu tappen. Es müsste längst gesetzlich vorgeschriebene Nährwerttabellen geben, die über Peroxid-Gehalt (Schadstoffe, die bei der Oxidation entstehen) und Polyphenol-Gehalt informieren. Das wäre für die Industrie eine Katastrophe, für traditionelle Olivenbauern die Existenzsicherung.
Solange es keine vorgeschriebenen Analysen für Olivenöl gibt, muss man eben lernen, sich auf den eigenen Gaumen zu verlassen. Denn ein gesundes Öl schmeckt auch hervorragend. "In Wahrheit ist das mit dem Öl sehr einfach. Ich sage den Leuten immer: probiert es!" Die Eckpunkte: Olivenöl muss scharf sein, nicht im Hals, sondern am Gaumen. Es darf nicht das Gefühl von Fett im Mund hinterlassen, es muss sich "trocken" anfühlen. Es sollte nach Gras duften, nach frischem Gemüse und unreifem Obst. Auch die angenehme Bitterkeit, die an Artischocke erinnert, sollte man im Auge behalten. Und dann wären da noch die verschiedenen Olivensorten ( es sind weltweit 860 ) . Aber irgendwann wird das sehr einfach. Um es mit Mugelli zu sagen: Exzellentes Olivenöl ist nämlich alles andere als eine bittere Medizin.
